Über die unzähligen Vorzüge, Besonderheiten, Facettenreichtum und den Charme der
Grande Nation zu fachsimpeln ist müssig, hat doch bestimmt jede ihre eigenen Präferenzen. Ergo beschränke ich mich auf das südliche Frankreich aus der Sicht einer Tourenradfahrerin.
Was den Briten und Tennisprofi’s Wimbledon bedeutet, den Ami’s die Superbowl, ist den Franzosen die TOUR DE FRANCE. Eine nationale Ikone und deren Gewinn der Olymp für die Radrennfahrer dieser Welt. Wer kennt sie nicht, die mörderischen Bergetappen zur Alpe d’Huez oder dem Mont Ventoux? Begriffe so bekannt wie der Eiffelturm. Für Französinnen und Franzosen sind ,Les Cyclistes’ kleine Götter und damit sind nicht bloss die leistungsorientierten Gümmeler gemeint. VelofahrerInnen im Allgemeinen haben grundsätzlich ein hohes Ansehen.
Seit langer Zeit gehört eine jeweils zweiwöchige Velotour in der (Haute)Provençe zu meinem unverzichtbaren Jahresprogramm. Im Viereck zwischen Grenoble im Norden, der Rhône im Westen, der Côte d’Azur im Süden und den grossen Pässen Cayolle, Galibier & Co. an der Grenze zu Italien, sind meine BegleiterInnen und ich dann genussvoll radelnd und oft auch ordentlich schwitzend unterwegs. In diesem hügeligen und dünn besiedelten Gebiet, geprägt von Baumussplantagen, Olivenhainen, Weizen-, Sonnenblumen-, und Lavendelfeldern sowie schier mittelalterlich anmutenden Dörfern. Pittoresk hoch zehn.
Haben wir wieder einmal einen der zahlreichen Col’s geschafft (oder er uns) und suchen Kühlung in der örtlichen Bar, werden wir gleich wohlwollend beäugt, zumal das Publikum unsere mit Saccochen und Zelten schwer beladenen, motorlosen Zweiräder längst taxiert hat.
Meist dauert es nicht lange, bis wir nach dem Woher und Wohin ausgefragt werden, gefolgt von «Chapeau», «Bravo» und anderen Lobpreisungen. Zum Abschied dann stets ein fröhliches «Bonne Courage» oder «Bonne Route». Diese Leute gäben dir das Hemd vom Leibe, was wir in gewissen Situationen mehrmals erleben durften. Aus Respekt und Hochachtung vor unseren hochsommerlichen Moritaten.
Vielleicht haben die Franzosen auf dem Lande deshalb ein so grosses Herz für fernreisende Pedaleurs, weil sie selbst es nicht ansatzweise sind. An Wochenenden mag man Radrennfahrerinnen zuhauf begegnen, aber davon abgesehen, ist Frankreich astronomisch weit von holländischen Zuständen entfernt. Hier ist der Renault, Peugeot oder Citroên das Velo und sei es bloss für den Einkauf auf dem Markt. Im Alltagsgebrauch ist das Velo kaum präsent. Umso bemerkenswerter ist die positive Einstellung zum Zweirad.
Für unsereiner ist Südfrankreich das Paradies. Sei es rechts der Rhône in den Cevennen, Gorges du Tarn oder Ardèche, oder wie erwähnt in der malerischen Provençe. Wer hügeliges Gelände schätzt und Pässe nicht scheut, ist hier goldrichtig. Es erwarten sie und ihn einsame, umwerfend schöne Landstriche mit einem perfekt unterhaltenen Strassennetz von erstklassiger Güte, wie ich es nirgends wo sonst in einer europäischen Provinzgegend finde. Hier getraue ich mich auf einer Schussfahrt Vollgas zu geben, ohne Angst vor Schlaglöchern oder Kieshaufen haben zu müssen. Diesbezüglich Eindrückliches habe ich am Col de la Cayolle ganz im Osten der Provençe erlebt. Einem für Liefer- und Lastwagen gesperrten idyllischen Pass, auf dem selbst Camper Fahrverbot haben. Kaum ein PW verirrt sich hierher. Im Aufstieg ex Barcelonette fuhr ich einem mit drei Männern befrachteten Unterhaltsfahrzeug hinterher. Immer wieder machten sie Halt, um mit ihren Besen steinschlägiges Kies von der Strasse zu wischen. Bis hoch hinauf zur Passhöhe auf 2326 Meter war absolut nichts finden, was die Fahrfreude getrübt hätte. Dito auf der sich endlos dahinziehenden Abfahrt. Et tout pour les cyclistes bien aimés!
Taugliche Fahrradführer für diese touristisch nur sanft erschlossenen Gegenden findet man im Handel vergeblich. Das ist aber auch nicht notwendig, lässt sich eine Tour anhand der formidablen Michelin-Strassenkarten mit dem Dreiklassensystem doch bestens selber planen. ,Rote’ Strassen sind tabu, ,gelbe’ als Verbindungsstrecken manchmal nicht zu vermeiden. Wählt man jedoch die ,Weissen’, kommt es gut. Sind sie dann noch mit einem grünen Strich flankiert, was eine ,Route Pittoresque’ signalisiert, bist du im Nu auf dem Pfad der Glückseligkeit. Versprochen!
Sogar ohne GPS findet man sich problemlos zurecht, vorausgesetzt, du verstehst es Karten zu lesen. Alle Strassen sind vorbildlich ausgeschildert und nummeriert. Verwechslungen und Unsicherheiten ausgeschlossen. Selbst der kleinste und abgelegenste Weiler hat seinen eigenen Wegweiser. Gar oft waren wir auf solchen Strassen unterwegs, ohne mehr als zwanzig, dreissig Autos zu Gesicht bekommen zu haben. Pro Reisetag wohlverstanden. Idylle pur, musikalisch unterlegt vom Gezirpe der Zikaden, berauscht vom Duft des Lavendels.
Das Tüpfchen auf dem i sind die gelbweissen Marksteine, welche alle paar Kilometer die Distanz zum nächsten Dorf prophezeien sowie die Strassennummer repetieren. Auf Bergstrecken neuerdings zusätzlich versehen mit der Angabe der Steigung in Prozenten. Auch dies ein Service und explizit für die VelofahrerInnen gedacht. Merci!
Wer mit dem Zelt unterwegs ist hat weitere Vorteile. Fast jeder grössere Ort verfügt nebst allfälliger privat geführter Anlagen über einen ,Camping Municipal’ (Campinplatz der Gemeinde), sodass die Übernachtung somit geregelt ist. In allen Jahren haben wir nie eine Reservation getätigt, was eine gewisse Flexibilität erlaubt. Allerdings sollte man bei der Routenplanung das Vorhandensein überprüfen, können die Distanzen zwischen Siedlungen doch recht erheblich sein.
Da sind wir auch schon bei der Kehrseite der Medaille und dem Thema Landflucht. Das was uns Touristinnen in unserer romantischen Verblendung hinzieht, vertreibt die junge Generation. Dünn gesäter oder gar fehlender öffentlicher Verkehr, trägt das Seine dazu bei. Ohne eigenes Auto ist man hier verloren. Das Gewerbe streckt die Flinte vor Carrefour, Super U und wie die Giganten in den Ballungszentren alle heissen. Wir sind erneut durch Dörfchen gefahren, wo vor Jahren noch ein Hotel mit Restaurant, eine Post sowie Metzg- und Bäckerei existierten. Heute sind überall die Rollläden heruntergezogen. Wenn es hochkommt, fährt ein Störmetzger zweimal wöchentlich mit seinem mobilen Verkaufswagen vor, die obligate Baguette hingegen bekommt man längst auf dem Camping. Und der wurde im Laufe kurzer Zeit in manchen Orten zum sozialen und versorgungstechnischen Mittelpunkt. Hier bekommt man nun seinen Café mit Croissant oder Pain au Chocolat. Hier genehmigt sich der Bauer zwischendurch einen Pastis im Kreise der Kollegen. Hier geht man auswärts essen, wenn man nicht weit fahren will. Der Camping ist abseits der Touristenfallen vielerorts zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Fragt mich bloss nicht, wie das dann im Winter läuft.
Oft waren wir mangels Alternative gezwungen auf dem Camping zu essen und wurden jedoch kaum je enttäuscht. Im Gegenteil. Immer wieder überraschte man uns mit Speisen, wie sie nicht leckerer hätten zubereitet werden können. Freundliche Bedienung und eine Karaffe kostenloses Eiswasser inbegriffen. Ohne Aufforderung kommt meist auch gleich eine zerschnittene Baguette mit auf den Tisch. Aber dies gilt ja grundsätzlich für den Süden Frankreichs, der Hochburg des Rosé. Der ist hier nebst Wasser das gängigste Getränk und als Pichet (Hauswein im Krüglein) bestellt, weitaus günstiger als etwa Bier. Nirgends mundet er sommers köstlicher!
Zeltabbruch, Frühstück mit knuspriger Baguette und die Aluesel aufgepackt. Dann geht es auf die nächste Etappe in diesem faszinierenden und betörend schönen Land, den köstlichen Geruch der Pinien in der Nase, das unvergleichliche Geschabe der Zikaden im Ohr.
VIVE LA FRANCE !
Alle Fotos entstanden auf Velotouren mit FreundInnen in der Haute Provençe, Alpes Martitimes, Cevennen, Ardèche, Gorges du Tarn
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