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Verfalldatum



2,8 Millionen Tonnen soll die kaum vorstellbare Menge der in der Schweiz jährlich vernichteten Lebensmittel betragen. Das entspricht dem Gewicht von circa 560'000 Elefanten, oder der 6-fachen Menge der in unserem Land durchschnittlich geernteten Kartoffeln. Noch einwandfreie Nahrungsmittel, entsorgt von Grossverteilern, Gastrobetrieben und privaten Haushalten, aufgrund des Verfalls, des auf der Verpackung aufgedruckten Haltbarkeitsdatums. Unglaublich aber wahr.

 

Gemeinnützige Organisationen wie der Verein TISCHLEIN DECK DICH, helfen mit, diesen krassen Missstand  zu vermindern und wenigstens einen winzigen Teil dieser zur Vernichtung preisgegebenen Produkte in Kanäle zu leiten, welche minderbemittelten Menschen zugutekommen. Ein Tropfen auf einen heissen Stein, aber immerhin.

 

Im COOP-Heftli entdeckte ich kürzlich den Ausschrieb zu einer Aktion Tessinerbraten. Ich liebe Tessinerbraten und nahm mir vor, von dieser 50% Preisreduktion zu profitieren.

Als ich am 8. Februar endlich die Zeit dazu fand, machte ich mir nur noch geringe Hoffnung, einen dieser mit Speck umwickelten Fleischmocken zu ergattern. Indes. Das dazu vorgesehene Fach in der Kühltruhe meiner Filiale war noch reichlich bestückt. Schwein gehabt!

Als Schnäppchenjägerin hinsichtlich Fleisch, warf ich gleich einen Blick auf das Verfalldatum und siehe da, das war am Vortag, den 7. Februar. Da liegen doch locker nochmals 50% drin, frohlockte ich innerlich und begab mich mit dem corpus delicti zur Fleischtheke, um mein Anliegen vorzutragen.

«Nein, das geht nicht. Ich darf Ihnen diesen Braten weder zum Vollpreis noch reduziert verkaufen. Das Datum ist abgelaufen», gab mir die Verkäuferin freundlich aber bestimmt zu verstehen.

«Ja, aber das ist mir egal», erwiderte ich. «Der Braten ist gekühlt noch eine halbe Ewigkeit problemlos geniessbar».

«Tut mir leid, es ist wegen der geltenden Vorschriften unmöglich und zudem verboten.»

«Ich übernehme die Verantwortung», sage ich leicht konsterniert, «ist doch tausendmal besser, als diesen Leckerbissen zu entsorgen!»

Anstatt sich weiter von mir peinigen zu lassen, schritt sie zielstrebig um mich herum, beugte sich über die Kühltruhe und kontrollierte die Daten des Inhaltes. Mit sieben oder acht Stück in den Armen schwer beladen, verschwand sie dann im Metzgereibereich.

Ohje, das sind ja gegen 10 Kilo, die der Vernichtung anheimfallen, anstatt irgendwelche Gaumen zu erfreuen, ging es mir durch den Kopf, während ich enttäuscht von dannen zottelte.

 

Der Verkäuferin ist kein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil. Sie handelte im Einklang mit den betrieblichen Vorschriften und möglicherweise contre coeur.

Während dem weiteren Verlauf meines Einkaufs begann der Gwunder an mir zu nagen und ich kehrte zu besagter Kühltruhe zurück, zumal ich meinte bemerkt zu haben, dass sie nicht alle Braten entfernte. Volltreffer! Die restlichen trugen als Verfall das Tagesdatum und ich somit nichts wie hin zu meiner Verkäuferin. Jene konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und ermöglichte mir mein Schnäppchen. Fast ein bisschen komplizenhaft wie mir schien. Und mich beschlich das gute Gefühl etwas vor der Zerstörung bewahrt zu haben und natürlich die Vorfreude auf die knusprig gebratene Köstlichkeit. Doppelte Freude sozusagen.

 

Zu Zeiten als das Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht erfunden war, galt es gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Man vertraute seinen Sinnen. Primär der Nase und den Augen, im Bewusstsein, dass insbesondere Fisch und Meeresfrüchte zu den heikelsten Naturprodukten zählen. Hier ist zweifellos Vorsicht geboten. Die grosse Mehrzahl aller abgepackten Produkte hingegen, ist weit über das Verfalldatum hinaus geniessbar. Meist Wochen und gar Monate später noch. Was die Frage nach der Berechtigung des Verfalldatums aufwirft, zumal sich im Zuge des grassierenden Sicherheits- und Reinlichkeitswahn immer mehr Menschen dem Verfalldiktat unterwerfen, ohne dieses zu hinterfragen.

Ich verkehre mit Bekannten, für welche das Ablaufdatum sakrosankt ist. Die kennen kein Pardon. Ab in den Kübel, sobald etwas von gestern ist. Ob das nun Milch, Yoghurt, eine Salami, ein Stück Käse oder eine Schachtel Datteln sein möge, egal. Denen ist auch Restenverwertung ein Fremdwort. Was gleichentags gekocht und nicht gegessen wird, findet sein Lebensende auf dem Kompost.

Dabei gäbe es Mittel und Wege um sich fundiert zu informieren und den Ressourcenverschleiss zu minimieren. Zum Beispiel: foodwaste.ch und letztlich die eigene Tiefkühltruhe.

 

Mit der Einführung des Verfalldatums, haben wir Konsumentinnen und Konsumenten uns schleichend entmündigen lassen, was zu einer Hörigkeit führte, welche mitschuldig ist an diesem immensen Verschleiss an Esswaren. Ein trauriges Kapitel verbunden mit grosser Scham gegenüber all jenen Menschen, welchen solches Verhalten zu Recht unbegreiflich ist. Und das dürfte wohl mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung miteinschliessen.

Grund genug und Anlass zur Aufforderung an Staat und Verteiler, die Verfalldatumsparameter zu überdenken.


Titelfoto: Umzäunungspfosten warten auf den Alpfrühling. Nähe Ricken (SG)






Fotos unter Text: Hirzel (ZH) am 1. Januar 2017



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