Von meinem Sitzplatz am Esstisch kann ich direkt zum Vogelfutterhaus Typ Pollux blicken. Ein Giebeldachkonstrukt mit zwei schräg stehenden, viereckigen Kunststoffscheiben als Trichter für das selbstgemischte Vogelfutter. Geschälte Sonnenblumenkerne und gehackte Erdnüsse. Danach sind meine gefiederten Freunde total verrückt. Jetzt haben wir Mitte Februar und ich füllte soeben das 14. Kilo nach. Sieben von jeder Sorte.
Katzensicher an einem Fliederzweig aufgehängt, ist mir Pollux eine Art Winterfernseher. Obwohl er nur über einen einzigen Sender verfügt, der zudem beim Eindunkeln in den Schlafmodus verfällt, hocke ich oft viertelstundenlang vor der durch eine Fensterscheibe getrennten Bioglotze. Völlig fasziniert vom Geschehen, das sich dort abspielt. Ein Tatort der besonderen Art. Zwar eher Seifenoper denn Krimi, aber spannend allemal und diesen Winter ganz besonders facettenreich.
Spatzen, Kohl- und Blaumeisen, vereinzelt Rotbrüstchen, waren bis dato die Protagonisten auf den Festhaltestängelchen. Wenn es hoch kam mal eine Schwanz- oder Haubenmeise.
Heuer nun, sehe ich mich vor einer veritablen Voliere sitzen. Den ganzen letzten Sommer über sind sie mir nicht aufgefallen. Dann, im Spätherbst waren sie plötzlich da. Erstmalig und gleich zu sechst. Eine quirlige Sippe. Mit ihren roten Gesichtsmasken, kräftigen Schnäbeln, weissen Wangenbändern und dem leuchtend gelben Flügelmittelfeld, sind sie zu den unbestrittenen Diven am Tatort avanciert.
Dem entsprechend benehmen sie sich, die bunt und farbenfroh gefiederten Stieglitze, auch Distelfinke genannt.
Wehe dem Spatz oder der Meise, welche sich erfrecht, sich neben einen Stieglitz auf dem Stängelchen zu platzieren, oder sich anschickt es zu versuchen. Da gibt es gleich Saures, statt Korn. Der Distelfink schätzt es ausserordentlich, ausgiebig und vor allem ungestört zu Futtern. Konkurrenz unerwünscht. Dabei wollte das Meislein nur fix hin, sich einen Nüsschensprenkel schnappen und husch wieder fort. Aber nein, Egomane Stieglitz kennt kein Pardon.
Gegen die Proleten der Futtersuchenden, die Haus- und Feldsperlinge, genannt Spatzen, ist er ganz besonders allergisch. Jene pflegen nicht einfach gesittet nach einem einzelnen Korn zu picken wie die Meisen, sondern den Kopf wild hin und her bewegend durch die Futterstelle zu pflügen, damit nebenbei möglichst viele der Leckerbissen zu Boden fallen. Trotz erhöhter Gefahrenlage hinsichtlich Katzen und in bester Gesellschaft mit den Amseln, ziehen sie den Bodenaufklaub vor. Den Stieglitzen natürlich ein Gräuel und unter ihrem Stand. Letzteren nicht anders möglich.
Gemäss einschlägiger Literatur, zählen die Distelfinke zu den Halbziehern, was bedeutet, dass sie den Winter tendenziell in wärmeren Gefilden Europas zu verbringen gedenken. Gedachten, sollte ich wohl schreiben. Denn kaum dümmer als Störche, haben sie offenbar gemerkt, dass man sich in den hiesigen Gefilden infolge tieferer Temperaturen sowie Schneemangel keine kalte Füsse und den Hungertod mehr holt.
Herausforderung und eine gewisse Tragik für die Natur, Segen für mein Fernsehprogramm, in welchem neuerdings auch Erlenzeisige und sogar eine Mönchsgrasmücke mit dem charakteristischen schwarzen Käppi ihren Auftritt haben.
Auf deren unvergleichliches, irgendwie chaotisch wirkende Geschwätz im Frühling freue ich mich jetzt schon diebisch. Ein alter, unlängst verstorbener Bekannter, nannte die Mönchsgrasmücke Durcheinandersänger, auf gut Dialekt: Dä Durenandsänger. Charmanter Poprock versus Amselgezwitscher. Die Konzertsaison steht vor der Tür. Juhee!
Fotos: Krokus auf der Halbinsel Au (ZH) / Stieglitz im Flug. Bild aus dem Internet abgekupfert.
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