Gelegentlich bin ich mit dem Velo unterwegs, radle den Flanken des Pfannenstils, mal tiefer, der Zürichsee-Goldküste entlang. Ein anderes Mal erklimme ich die Höhe zum Horgen- und Wädenswiler-Berg, lasse mich durch diese betörende Hochebene mit ihren pittoresken Drumlins gegen den Etzel hin treiben. Vorbei an zahlreichen verträumten Seelein, deren Krönung wohl der Hüttner sein dürfte. Nach dem herzförmigen Freyenweijer passiere ich Schindellegi und Feusisberg hoch über Wollerau, Wilen und Freienbach. Erstere das Duo der voralpinen Schwyzer Steuerparadiese mit fantastischem Ausblick über die Seebanane sowie die St. Galler und Glarner Zinggen.
Hier leben die Reichen, welche sich möglicherweise eine Villa mit Seeanstoss an der nach Süden ausgerichteten Goldküste locker leisten könnten, infolge Mangel an Bauland und Kaufobjekten jedoch mit der Pfnüselküste (Nordhang) Vorlieb nehmen mussten.
Als Gwunderfitz und Gartenspotterin kann ich es meist nicht lassen, die architektonischen Juwelen aus der Nähe zu betrachten. Das Allermeiste von erlesener Qualität. Hier wird geklotzt! Nichts fehlt, was ein Leben in dieser Liga zur Bedingung macht. 25 Meter Schwimmbecken mit randlosem Seeblick, Mehrfachgarage, Gartenhaus und Zimmer zum Abwinken. Ab und an sogar ein Annex für Gäste, oder dann zumindest ein Pavillon. Nicht zu vergessen die Sicherheitsinfrastruktur.
Dem Zeitgeist entsprechend alles fein gepützelt, eckig und kantig. Klare Linien ohne irgendwelchen Schnickschnack, hochgradig steril. Anthrazit dominiert.
Kein Garnichts hat im Aussenbereich eine Chance diese Quadratur zu durchbrechen, ohne vom Unterhaltspersonal in den Senkel gestellt zu werden. Wehe dem Löwenzahn, der aus einer Ritze zu keimen wagt, wehe dem Malvensamen vom Winde verweht. Nulltoleranz für planungsresistenten Wildwuchs. Todeszone für Flora. Mit Ausnahme natürlich des Buxus sempervirens, welcher zur Kugel frisiert der Steinwüste einfarbig Akzente setzt, oder in mausgraue Töpfe gesteckt, die Balkone ziert.
Hüben und drüben dasselbe Bild. In den Gärten und auf den Terrassen der Vermögenden, ob an der Gold- oder Pfnüselküste, der Buchs ist das Mass der Dinge. Er lässt sich zu Formen frisieren, ist immergrün, winterhart und als grössere Kugel gekauft ordentlich teuer. Ein Statussymbol und Kastenmerkmal. Wenn da nur der gefrässige Buchsbaumzünsler nicht wäre, der auch optisch Verheerendes anzurichten imstande ist. Aber dafür, respektive dagegen bemüht man ja des Gärtner’s Giftspritze.
Von Gärten zu reden ist allerdings irreführend. Ich sollte eher von Umschwüngen und Arealen sprechen. Denn ausser den grünen Buchsbaumkugeln wächst häufig wenig anderes aus dem mit einem Flies unterlegten Schotter. Als Teil der Umzäunung vielleicht immergrüner Kirschlorbeer. Der ist im Sommer und Winter blickdicht, wenn auch leicht sicherheitsbedenklich. Also zweite Wahl.
Auf gar keinen Fall etwas das blüht, oder am Ende gar Blätter abwirft. Gütiger Himmel. Bewahre sie vor solchem Übel. Was blüht, verblüht. Neigt sich irgendwann zu Boden und zieht erst noch lästige Insekten an. Wildbienen womöglich. Wird Laub und letztlich zu Humus, gleich den Blättern von Hibiskus, Glyzinie, Clematis und wie sie alles heissen, die betörenden Blütenwunder und Augenweiden. Ein Gehtnicht für Leute die von Kopfjägern umworben werden, denn die haben es gerne pflegeleicht. Wo käme man da hin, mit verwelkendem Grünzeug in Kies und Geröll? Nährboden für neues Leben! Ein Keimen da und dort. Dem Einhalt zu gebieten würde erkleckliche Summen verschlingen. Wehret den Anfängen, kann ich sie munkeln hören! Schliesslich ist man ja werktätig. Sie und Er. Tagein, tagaus hocheffizient, termindiktatiert und somit mit Anrecht auf ungetrübte und entspannte häusliche Freuden.
Während der Weiterfahrt hinunter zum Damm nach Rapperswil mache ich mir so meine Gedanken.
Schon komisch; Da zieht es diese Grossverdiener hinaus aufs Land, auf der Suche nach Abgeschiedenheit, Exklusivität, Fernsicht und bestmöglicher Naturnähe. Aber selbst einen Beitrag dazu zu leisten liegt den Meisten fern, oder sie kommen schon gar nicht erst auf solche Gedanken, verlangt der Kodex doch nach leblosen, Buchs dominierten Brachen. Und mit Erdsonde, Solardach und dem Tesla als Alibi-Drittwagen, braucht man sich ja beileibe nichts vorwerfen zu lassen. Was zählen da schon ein paar verhungerte Hummeln Ende Sommer?
Vielleicht ist die Faustregel gar nicht so abwegig: Je ausgefallener und kostspieliger die Vehikel in der Garage, je pompöser das Anwesen, desto unsensibler deren Insassen hinsichtlich der Naturverbundenheit ihrer Besitztümer. Oder wäre Naturverträglichkeit der passendere Ausdruck?
Es lebe der Buchsbaumzünsler.
Die gute Nachricht im Nachtrag, zumindest für den Kanton Zürich:
Comic unten: Widmers Woche im Tages Anzeiger 7. September 2024
Bilder unten: Blühender Birnbaum bei Tanne/Schönenberg. 7. April 2024
Bild unten: Rosenmattpark 6. April 2024
Bild oben: Badenmatt, Horgen. 10. April 2024
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