Sowie man ab der Autobahn bei Niederurnen ins Glarnerland einschwenkt, befindet man sich, Eigenwerbung gemäss, im höchst industrialisierten Kanton der Schweiz. Dem Zigerschlitz, wie er landauf, landab liebevoll oder despektierlich genannt wird. Je nach Sichtweise eben.
Für die Einen ein zutiefst bäuerlicher Kanton mit Reisläufertradition, für die Aufgeklärteren eine von zwei Gesichtern geprägte Talschaft. Im Sernftal sowie an Hängen und auf den Alpen nebst Mineralquelle in Elm und ehemaligem Schieferbergwerk bei Engi, vorwiegend Milch- und Viehwirtschaft, im Talgrund von Ziegelbrücke bis Linthal am Fusse des Klausenpasses die Fabriken. Der Kanton Glarus war einst eine Hochburg der Textilindustrie, insbesondere des Textil- und Seidendrucks welcher Weltruf genoss. Vergangene Zeiten, wie auch die Fabrikation der THERMA-Kochherde, Bügeleisen, Heizkörper, Wärmekissen und weiteren Elektrogeräten in Schwanden, welche praktisch in jedem Schweizer Haushalt zu finden waren. Von diesen schweren industriellen Zäsuren hat sich das Tal weitgehend erholt und neu ausgerichtet.
Unübersehbar das riesige Bergwerk in Netstal mit der einzigen (Weiss)Kalkfabrik der Schweiz. In diesem Ort ansässig ist auch der Racelette-Pionier STÖCKLI. Mit seinen Pfännchen hat er die Raclettezubereitung revolutioniert und auch in der Deutschschweiz salonfähig gemacht. Das Süsse zum Dessert könnte in der Schoggifabrik LÄDERACH bei Bilten vom Band gelaufen sein. Dies lediglich zwei der bekannten Namen aus dem prosperierenden Norden des Kantons, wogegen der Süden, gegen die Alpenbarriere hin, eher zu kämpfen hat.
Wie auch immer. Dass Glarus alles andere als ein hinterwäldlerisches Gebiet und Sackgasse im Winter ist, haben die Stimmberechtigten 2011 mit der Auflösung der Ortsgemeinden bewiesen. Eine Vielzahl Gemeinden mit eigener Verwaltung wurde zu Glarus Nord, Mitte und Süd fusioniert. Ein fast schon visionärer Vorgang, der hohe Kosten einsparen half sowie der schwierig gewordenen Besetzung der Dorfbehörden entgegenwirkte. Ein Beispiel, dem andere schwach besiedelte Regionen möglicherweise folgen werden.
Ob die Kantonsregierung seinen BürgerInnen allerdings zutraut zu wissen, welcher der drei Gemeinden sie nun zugehörig sind, darf bezweifelt werden. Um auf Nummer sicher zu gehen, trägt nämlich jede Ortstafel den entsprechenden Zusatz in Klammern. Man fährt heutzutage nicht mehr einfach durch Näfels oder Luchsingen, sondern durch Näfels (Glarus Nord) und Luchsingen (Glarus Süd). Und so weiter, mit jeder Ortschaft. Was mag das Auswechseln der Schilder bloss gekostet haben, wo man doch gerade welche durch den Zusammenschluss eingespart hatte?
Ein Schildbürgerstreich, beschleicht mich jedes Mal das Empfinden, wenn ich durch diesen bezaubernden Kanton fahre um Freizeit zu verbringen. Und irgendwie ein Romantikkiller. Einheimischen braucht man den Fakt bestimmt nicht vor Augen zu führen und Touristen ist es völlig egal, benötigen sie den Zusatz für die Orientierung doch in keiner Weise.
Glarus Nord, Glarus Süd alle paar Kilometer klingt nach Amtsschimmel, nach gross-städtischen Verhältnissen, nach Autobahnausfahrt, nach 17th Street oder Kolchose Nr. 5. Schade und absolut unnötig.
Aber wer weiss, vielleicht wurden die alten Schilder trotz der verstrichenen Zeit noch nicht entsorgt und warten bloss auf ihr zweites Leben. Falls dem so wäre, melde ich mich liebend gerne zu einem Tag Fronarbeit.
Fotos: Schiefer am Schwarzstöckli hoch über Glarus und Ennenda. Herbst 2019
Foto oben: Kalkbergwerk Netstal (GL) abgekupfert aus dem Internet (Pronetstal)
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