«Bestaunen Sie das imposante Bergpanorama mit Sicht über den Thunersee auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Dank E-Bike können Sie die Strecke von 72 Kilometer in nur vier Stunden zurücklegen.»
Wow! Wie toll ist denn das? Da kann man am Nachmittag ja gleich nochmals eine Tour anhängen, mögen sich einige der LenkerInnen mit der gelben Nummer vielleicht denken.
Der Titel unter der Rubrik Freizeit & Reisen lautet: HERZ UND SEELE ETWAS GUTES TUN.
Bei einem Stundenmittel von 18 Kilometer durch reichlich coupiertes Gelände kommt ersteres bestimmt in Schwung. Mehr oder weniger, je nach gewähltem Fortbewegungsmittel. Meine Seele hingegen fragt sich:
Will ich das?
Möchte ich im Eiltempo durch diese bezaubernde Landschaft hasten?
Komme ich überhaupt mit, oder bleibe ich infolge Reizüberflutung auf der Strecke?
Bleibt mir Zeit und Musse für Eiger, Mönch, Jungfrau und all die kleinen Überraschungen und Hingucker am Wegesrand?
Korrekterweise muss ich gestehen, dass meine Seele nicht mehr die Jüngste ist. Sie hat Zeiten erlebt, als man ausschliesslich analog unterwegs war. Beschaulich und ein klein bisschen stolz auf das mit Muskelkraft Erreichte. Als man sich beim Überholen am Berg noch grüsste, sich auf der Hügelkuppe oder Passhöhe ein paar Schweissperlen von der Stirne wischte und allenfalls das Leibchen wechselte. Gümmeler natürlich ausgenommen.
Offensichtlich bin ich eine unverbesserliche Romantikerin mit leicht masochistischen Zügen, was das Velofahren anbelangt. Weitherum belächelt wegen meiner E-Bike-Resistenz und Unbelehrbarkeit. Zur ausgeschriebenen Tour habe ich mich folglich nicht angemeldet. So effizient bin ich nicht, mit meinem ehrlichen Stahlesel. Ich werde die Gegend wohl in zwei Etappen durchfahren, Eiger, Mönch und Jungfrau gebührend Referenz erweisend. Oder mir zumindest den ganzen Tag Zeit dafür nehmen, geführt durch die Karten von SCHWEIZ MOBIL, dem nationalen Netzwerk für den Langsamverkehr (!).
Mich von leise surrenden Elektrorädern überholen lassen, gelenkt von mitleidig blickenden Fahrerinnen, ihre Augen an meine durch Muskelkraft drehenden Pedalen geheftet. Überrascht, verwundert ob der fehlenden Unterstützung. Auch missbilligendes Kopfschütteln habe ich schon erlebt.
Sie, wegen dem Fahrtwind in Daunen gepackt, ich eher gegen hüllenlos tendierend. Einen Gruss oder Ansporn beim Überholtwerden zu erhoffen, habe ich mir längst abgewöhnt. Die einen scheinen ihre Motorisierung schamhaft zu geniessen, die anderen wirken auf das Ziel fokussiert und in Eile. Vier (4) Stunden steht geschrieben! Das will nach Möglichkeit unterboten werden. Beschaulichkeit ade.
Kürzlich bin ich doch tatsächlich einem E-Biker-Paar mit Headset begegnet, wie man sie von den den Töfffahrern her kennt. Derart kommunikativ verbunden, bleiben sie während der Fahrt in Kontakt und können sich laufend berichten. Ohne anhalten zu müssen, notabene, was wohl der Clou der Sache ist. Ich jedenfalls wähnte mich im falschen Film.
Der Weg ist das Ziel, lautet meine Devise. Besinnliche Pausen inklusive. Vor meinem geistigen Auge wetteifern jetzt schon köstliche Speisen, leckere Weine, Coupe Romanoff und Tiramisu um meine Gunst. Was soll’s. Ich werde sie mir alle einverleiben, habe ich es mir zum Abschluss doch redlich verdient. Frau gönnt sich ja sonst nichts!
Titelfoto: Ausrangiertes Rennvelo an einer Hausmauer in der Gorge de la Nesque, Provençe (F)
Foto oben: Mönch & Jungfrau aus der Ferne
Alle Fotos unter Text: Velotour Emmental, September 2019
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