top of page

Das Unglück junger Frauen




Eine gute Freundin arbeitet als Hortnerin in einer mehrbesseren Gemeinde am Zürichsee mit teils entsprechender Clientèle. Hier fragen sich nicht wenige der Kinder, ob sie abends von Mami mit dem Porsche, oder Papi mit dem röhrenden Mercedes-Gartenhäuschen abgeholt werden (oder Typ ähnlich).

 

Eine Zweitklässlerin brüstete sich letzthin damit, dass sie während dem Familienferien im teuersten Restaurant der Welt gegessen habe. Die Frage, wo denn und was dort gegessen habe, beantworte sie strahlend: «In Dubai und natürlich Spaghetti, mein Lieblingsessen.»

 

Ein anderes Mädchen aus deren Klasse, das als Spiegelbild ihrer Mutter stets teuer und nach neuester Mode gekleidet zur Schule geht, liess kürzlich gegenüber meiner Freundin, der Hortnerin, die leicht abschätzige Bemerkung fallen: «Das hast du aber gestern schon angehabt.»

Selbstredend ist jenes Mädchen jeden Tag frisch und markenbewusst ausstaffiert.

 

In besagter Schule überquillt die Fundkiste übrigens regelmässig von edlen Jacken, Pullovern, Kappen und anderem mehr. Aber kein Hahn kräht danach. Null Nachfrage. Es scheint den werktätigen Eltern leichter von der Hand zu gehen, per Knopfdruck und Kreditkarte finanziell schmerzfrei Nachschub zu bestellen, als sich um den Verlust zu kümmern.

 

Gerade ist der WORLD HAPPINESS REPORT in aller Munde, zumal die Schweiz auf dem Glücklichkeitsbarometer von Rang drei auf Platz neun von 143 abgerutscht ist. Unter anderen hat Michèle Binswanger in der Tages Anzeiger Ausgabe vom 25. März darüber einen eindrücklichen Artikel verfasst, in welchem sie sich Fragen stellt, weshalb das Glücksempfinden insbesondere junger Frauen ab 12 Jahren im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen jäh abnimmt. Dies wohlverstanden in Ländern in der Liga der höchsten Pro-Kopf-Einkommen. Sie erwähnt Pandemie, Klimawandel, Migrationskrise, soziale Medien. Einen ihrer Kernsätze möchte ich hier zitieren:

 

«Liegt es daran, dass Kinder in reichen Ländern schon in sehr jungen Jahren mit Smartphones ausgestattet sind? Dass Frauen vermittelt wird, sie könnten alles haben und müssten alles sein und doch nie gut genug sind?»

 

Genau mit dieser Aussage hat sie wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Eine alte Weisheit allerdings.

Natürlich gibt es sie noch, die Mädchen und jungen Frauen mit Hobbies und breit gefächerten Interessen. Jene welche in einem Sport- oder Musikverein aktiv sind, die vielleicht in die Pfadi und wandern sowie zelten gehen, ein Feuer entfachen auf die Reihe kriegen, eine Jugendgruppe leiten, einer erfüllenden Berufslehre oder Studium nachgehen und möglicherweise sogar Bücher lesen. Sie dürften vor dem Unglücklichsein am ehesten gefeit sein.

 

Sehe ich mich ein bisschen um, schiele einer gestylten jungen Frau über die Schulter, riskiere im Tram, Bus oder Zug einen Blick in ihren Display, bekomme ich aber oftmals das Immergleiche zu sehen: Selbstdarstellerinnen von rund um den Globus. Bildhübsche, makellose Wesen, oder solche, die ihre vermeintlichen Mäkel mit viel Geld retouchiert, in den richtigen Rahmen zu rücken verstehen.

Sie alle fahren tolle Schlitten und scheinen Kohle wie Heu zu haben. Einige der Tussies entführen einem in ihre Häuser, vorbei an Wänden voller Schuhe jeglicher Stilrichtung, Täschchen von Gucci, YSL und Co. hinter Glas, Schubladen voller Schmuck. Und weiter geht es durch den begehbaren Kleidersaal hinaus an den Swimmingpool. Alles hübsch steril und garantiert keimfrei. Ob echt oder Fake, wer weiss das schon mit Sicherheit.

 

Betrachte ich mein Opfer, nennen wir sie Maria, aus der Nähe, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sie zu den Unglücklichen gehört, denn ihre Idole haben die Latte sehr hoch gelegt. Möglicherweise unerreichbar hoch.

Ihr Universum ist geprägt von Tic Toc, Snapchat und Instagram, ihre daneben noch verbleibende Freizeit von shoppen und Körperoptimierung. Coiffeuse, Manicure, Pedicure, Haarentfernung, Massage, Tattoostudio und Fitnesscenter. Maria weiss aus eigener Erfahrung was das alles kostet und ist folglich dauernd blank. Ihre adaptierte Vorliebe für schnelle, teure Wagen, lässt sie am Wochenende neben einem Automacho sitzen. Er, wegen der eben auf Hochglanz polierten Edelkarosse mit vor stolz geschwellter Brust, dreht die immergleichen Runden auf der Suche nach Publikum, das dem Gedröhn seiner frisierten Auspuffe Ehrfurcht zollt. Auch er stets klamm und ächzend unter der Last des Leasings. Maria gelangweilt, pausenlos den Bildschirm scrollend.

 

In einem lichten Moment mag sie sich vielleicht selbst ein paar Fragen über die Zukunft stellen und eine gewisse (Sinn)Leere empfinden. Wie zum Beispiel Kinder und Mehrzimmerwohnung finanzieren, angesichts der anhaltenden Ebbe im Portemonnaie? Taugt der Lenker überhaupt zum Miternährer?

Lebe ich allenfalls über meine Verhältnisse? Sollte ich mir das heissbegehrte Glitzerkleid und die Haarverlängerung nicht besser abschminken?

Lauter unbequeme und beängstigende Fragen, welche Maria das Glücklichsein vergällen und mithin das Ranking weiter in den Keller treiben.

 

Zurück zur Zweitklässlerin im Hort meiner Freundin.

Sie ist noch weit entfernt von essentiellen Sorgen, lebt dank vermögender Eltern in Saus und Braus, kennt das Leben nur von seiner Schokoladenseite, zumindest was materielle Belange betrifft. Ihr Selbstverständnis ist von Konsum und Wohlstand besonnt.

Aber auch bei ihr ist die Latte hoch gelegt, denn sie ist elterlicherseits dazu verdammt, den vorgegebenen Standard zu halten. Kann sie das aus eigener Kraft erreichen, oder wird sie einst gezwungen sein, eine gute Partie zu machen, das ist die Frage. In der Pubertät könnte sie das unter Umständen als Stressfaktor wahrnehmen, was ihr Glücksempfinden durchaus trüben dürfte.

Hinsichtlich Ranking ist das aber nicht in unserem Sinne. Lassen wir sie deshalb klug, hübsch, anspruchsvoll, mehrsprachig, kommunikativ und kosmopolitisch sein und nicht etwa am Wohlstand zerbrechen.  Stets gefeit vor Krankheiten, Wirtschaftskrisen, Börsencrashes und anderem Unbill.

 

Ein weiterer Grund für das wachsende Unglücklichsein mancher junger Frauen könnte das Fehlen der Alleinstellungsmerkmale sein. Sie sind weitgehend abhanden gekommen. Emanzipation und Gleichmachungsbestreben haben nicht nur die Männer in eine Identitätskrise gestürzt, sondern auch uns Frauen. Junge, moderne Männer können heutzutage kochen, waschen, haushalten, einkaufen und Kinderfüdli putzen. Da fällt es schwer, sich zu profilieren. Als Exklusivitäten verblieben die grössten Brocken, das Gebären und Stillen, aber auch das ist nicht bis in alle Ewigkeit gesichert.

Wenig verwunderlich, wenn sich die Unglücklicheren unter den Frauen lediglich noch über Äusserlichkeiten, Aussehen und Materielles zu definieren versuchen. Als Nachahmobjekte irgendwelcher schräger und für die Irreführungen bezahlten Influenzerinnen. Prost Nägeli.  



Fotos: blühende Magnolien am Zürichsee. 25. März 2024






 

37 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
bottom of page