Stimmt nicht. Anna lügt nie, es sei denn, sie ist defekt.
Anna ist zuverlässig und auf den ersten Blick erfass- und einschätzbar. Für mich zumindest. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Digital. Mit dem stehe ich auf Kriegsfuss. Gerade eben wieder lagen wir uns in den Haaren, kurz nach dem notwendig gewordenen Kauf eines neuen Autos. Zum Glück hat das gewählte Modell noch etwas Anna drin, wenn auch nach rechts versetzt, um Digital prominent ins Zentrum der Instrumentenanzeige zu platzieren.
Hier visualisiert er mir die Fahrgeschwindigkeit in Zahlen, während es ihm Anna mit dem roten, schlanken Zeigefinger nebenan gleichtut. Leicht verschämt und zu meinem Leidwesen halb durch das Lenkrad verdeckt.
Sehnlichst wünsche ich mir Anna ins Zentrum zurück, weil mein Gehirn analoge Informationen schlicht schneller erfasst. Und besonders jetzt, wo sich Digital verabschiedet hat. Ganz plötzlich war er weg, verschwunden, ersetzt durch ein Autosymbol. Schusslig wie ich manchmal bin, muss ich eine falsche Taste gedrückt, oder den Bildschirm inkorrekt betatscht haben, was ihn abtauchen liess. Alle Wiederbelebungsversuche scheiterten bis dato kläglich. Durch sämtliche Einstellungen habe ich mich gehangelt, das System auf Werkeinstellungen zurückgesetzt, das Betriebshandbuch heruntergeladen, nachgelesen. Vergeblich und doch irgendwie logisch.
Ich passe schlecht in die Schublade mit Zahlen und Berührbildschirmen. Zeiger und Drehknöpfe sind mir weitaus sympathischer. Ein Tesla? Ein Streichel-Kochfeld? Eine Digitaluhr? Nichts für mich. Zu kalt und unpersönlich, zu leb- und seelenlos. Auf diesem Gebiet bin ich schwer von gestern, stehe ich doch auf Rädchen, Schieber und Schalter.
Was werde ich belächelt, wenn ich mit Freunden auf Reisen gehe, im Gepäck zwei, drei Bücher. Als Leseratte habe ich die selbst auf Velotouren dabei, auch wenn jedes Kilo weniger eine spürbare Erleichterung wäre, zumal ich immer noch mit einem ehrlichen, biologisch betriebenen Fahrrad unterwegs bin und das auch weiterhin zu tun gedenke.
Meine BegleiterInnen zücken abends den Tolino oder Kindle, während ich meiner Fantasie mit einem reellen Buch auf die Sprünge helfe. Momente des Glücks.
Ein Buch ist voller Leben und mir ein treuer Gefährte. Es riecht je nach Alter, Einband und Papierqualität gänzlich verschieden. Es fühlt sich warm und verheissungsvoll an, es lässt sich bestaunen, streicheln, ertasten. Ich könnte ihm sogar ein Eselsohr verpassen, was ich aus Respekt und einer gewissen Ehrfurcht natürlich nicht tue, sondern ein zum Buchumschlag passendes Buchzeichen zwecks Rückfindung einlege. Ein papiernes Buch ist ein Wesen mit einer Seele.
Letzthin bekam ich von einer Freundin ein ausgeliehenes Buch angelesen zurück. Mit der Begründung, dass sie es rücklings liegend abends nicht schaffe ein schweres Buch zu halten und die Lektüre zu geniessen. Sie sei sich ihren Tolino gewohnt. Besagte hat ein Fitnessabo. Meines sind die Bücher.
Ein bisschen von dieser Welt bin ich aber doch, will ich doch stets wissen, was darauf vor sich geht, auch wenn mir das regelmässig die Laune verdirbt. Möchte ich das Tagesgeschehen unterwegs nicht verpassen, bin ich gezwungen, die Nachrichten meines Leibblattes auf dem Mobitel zu verfolgen. Das geht problemlos und macht mir auch kein Bauchweh. Aber Hand auf’s Herz. Was gibt es Schöneres, als eine frisch gedruckte Zeitung aus dem Briefkasten zu ziehen, sie auf dem Küchen- oder Gartentisch auszubreiten und bei Kaffee und Frühstück durchzublättern? Alle Artikel übersichtlich präsentiert, das Papier raschelnd, mit Brosamen übersät. Das hat doch Stil, verbunden mit einer Prise Romantik, zumindest was den Fakt und nicht etwa den Zeitungsinhalt betrifft.
Halt die Klappe, reklamieren Analog und Digital unisono. Natürlich gibt es Schöneres!
Überreife Khaki's
Später Kürbis
Blühende Kamelie
Chilenische Aurakarie
Alle Fotos aufgenommen in und um Mergoscia im Valle Verzasca (TI) Januar 2019
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